Der Automat macht es einfacher

Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, der Heil- und Kostenplan oder die Ersatzbescheinigung: Immer mehr Verfahren und Prozesse zwischen Krankenkassen und Leistungserbringer nehmen den elektronischen Weg. Die Herausforderung für die AOK Systems ist, wie diese Informationen schnell und sicher von außen in oscare® gelangen. Mit dem Softwarekonzept der Statemachine haben unsere Programmierer:innen jetzt einen smarten Weg gefunden.

oscare® connect ist wie ein Schutzmantel um die Kernsoftware und fungiert gleichzeitig als Drehscheibe für den Austausch von Daten. Die connect-Schnittstellen sind seit 2018 verfügbar. Eine besondere Herausforderung ist, Informationen, die etwa mittels KIM – das steht für „Kommunikation im Medizinwesen“ – an die Krankenkassen geschickt werden, in den Kern zu transportieren. Per E-Mail können Arztpraxen, Kliniken, Apotheken und andere Leistungserbringer medizinische Dokumente und Informationen elektronisch und sicher über die Telematikinfrastruktur versenden und empfangen.


Perfekt für asynchrone Verfahren

Das erste KIM-Verfahren, das mittels oscare® connect angeschlossen wurde, war die „Elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung“ (eAU). Von Jens Dannenberg, Entwickler aus der Entwicklungseinheit „Connected Services und Telematik“, stammt die Grundidee zu einer Statemachine, die KIM-Mails automatisiert bearbeiten kann: „Die Statemachine oder auch der Zustandsautomat ist ein Softwarekonzept, das sich perfekt für asynchrone Verfahren eignet. Also für einen Prozess, in dem eine Anfrage oder eine E-Mail wie bei KIM eingeht, aber nicht sofort beantwortet, sondern bearbeitet werden muss.“


Viele kleine fleißige Dienste

Knapp anderthalb Jahre hat das insgesamt achtköpfige Team gebraucht, die Idee in programmierte Realität umzusetzen. „Die Statemachine gibt es konkret gar nicht, sondern es ist eine Ansammlung von vielen Microservices, die ineinandergreifen“, sagt Nicolas Dumaine, einer der Hauptentwickler. Jeder der Microservices erfüllt einen Teilaspekt einer Gesamtaufgabe – zum Beispiel die Information einer eAU, die per KIM an eine Krankenkasse gesendet wird, in oscare® abzulegen. Die Programmierung der Statemachine, also der Microservices, ist relativ einfach, und die technische Umgebung, in der diese laufen, ist bei allen Rechenzentren, die mit der AOK Systems zusammenarbeiten, bereits vorhanden. Die Microservices werden als Docker-Images gebaut. Das sind autarke Anwendungspakete, die als isolierte Container operieren. Die Umgebung, in der die Microservices laufen, heißt Kubernetes. Das ist ein von Google entwickeltes Open-Source-System zur Verwaltung von Container-Anwendungen. Kubernetes oder Derivate davon sind bei allen Rechenzentren im Einsatz.


Der Polizist kennt den Weg

Wenn also jetzt eine KIM-Mail eingeht, wird sie zuerst von einem Dienst vom Server abgeholt und in einem Verzeichnis abgelegt. Dann springt ein weiterer Dienst an, der für die Statemachine essenziell ist: Apache Kafka. Dieser Dienst kann Nachrichten absetzen und empfangen. Man kann ihn sich als eine Art CB-Funker vorstellen. Er sendet zum Beispiel in die Kubernetes-Umgebung: „Hallo hier ist eine Mail. Wer ist zuständig?“ Darauf springt der erste Microservice an. Dieser extrahiert die Header aus der E-Mail und legt sie wieder in einem Verzeichnis ab. Danach nimmt ein weiterer sehr wichtiger Dienst seine Arbeit auf: der Stateshifter. Er ist wie eine Art Verkehrspolizist, der den Datenverkehr regelt. Er verfügt über eine „Straßenkarte“, in der alle Schritte des Gesamtprozesses verzeichnet sind. Wenn er das Signal von einem Service erhält, dass dessen Arbeit getan ist, weiß er, welcher Service als nächster dran ist. Per Apache Kafka wird der Arbeitsauftrag wiederum veröffentlicht. Und so geht das immer weiter, bis der gesamte Prozess abgearbeitet ist.


Mehr Power geht immer

Die Statemachine ist in zwei Schichten aufgeteilt. In der ersten Schicht sind die grundlegenden Microservices, die die E-Mail speichern, scannen und die Informationen extrahieren. Die zweite Schicht ist die fachliche, in der die Information verarbeitet und letztendlich im APD-System von oscare® abgelegt wird, sodass hier der eigentliche Prozess beginnen kann. Bei einer eAU durchläuft eine E-Mail in der ersten Schicht 25 und in der fachlichen Schicht zwölf Microservices, bis die Informationen der E-Mail in oscare® abgelegt sind. Das hört sich viel an, dauert aber pro E-Mail nur etwa ein, zwei Sekunden. In einem mäßig gut skalierten System können so etwa in zwei Stunden 50.000 Mails oder 240.000 pro Tag bearbeitet werden. Ein sehr großer Vorteil ist allerdings die Skalierung. Dannenberg: „Ist das Datenaufkommen hoch, kann man einfach die Microservices klonen. Apache Kafka sendet das Signal dann so, dass jeder der Klone ein Stück vom Kuchen abbekommt.“


Sehr sicher und sehr robust

Die E-Mails werden über Transportverschlüsselung abgeholt und symmetrisch verschlüsselt gespeichert. Zudem läuft die Statemachine bereits in einem hoch geschützten Raum. Und in der Datenbank werden keine persönlichen Daten, sondern nur Steuerungsinformationen abgespeichert – es ist quasi ein digitaler Laufzettel. Das System ist hoch transaktionssicher, es gibt schon aus konzeptionellen Gründen nie den Fall, dass ein Objekt zustandslos herumliegt, und es kann daher auch nicht verloren gehen. Weiterer Vorteil: „Früher musste man die Konfiguration für verschiedene Services mehrfach pflegen. Bei den Microservices, von denen aktuell rund 70 im Einsatz sind, kann die Konfiguration zentral gepflegt werden. Außerdem läuft eine Statemachine sehr geräuschlos. Das heißt, sie ist wartungsarm und extrem robust gegen Störungen oder Ausfälle“, sagt Dannenberg. Fehlerhafte Übertragungen an andere Systeme wie APD können etwa mehrfach automatisch wiederholt werden.


Erste Anwendungen sind produktiv

Und noch ein Vorteil: Microservices können innerhalb von Minuten mithilfe von Architektur-Vorlagen und -Prototypen programmiert werden. Auch für den Stateshifter gibt es Vorlagen, die nur angepasst werden müssen. Dazu kann eine Statemachine auch problemlos erweitert werden – also mit weiteren Microservices für die Prozesskette. Ausgeliefert ist die Technologie bereits an alle Rechenzentren. Die ersten zwei Rechenzentren sind schon produktiv gegangen, die anderen werden nachziehen. Den Anfang hat die ITSCare mit den AOKs Hessen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz/Saarland gemacht. Kurz darauf folgte die GKVI mit der AOK Nordost und der Barmer Ende Februar. Verfügbar sind aktuell Anwendungen für die „Elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung“ (eAU), die „Elektronische Beantragung und Genehmigung zahnärztlicher Leistungen“ (EBZ) und die „Elektronische Ersatzbescheinigung“ (eEB). Außerdem gibt es die Anwendung eMailPLUS. Sie ist für E-Mails, die nicht zuordenbar sind. Das kann etwa eine Anfrage einer Arztpraxis sein. Fast fertig ist der „Elektronische Antrag Anschlussrehabilitation“ (AAR). „Und die Statemachine ist längst nicht nur für KIM vorstellbar. Alle asynchronen Verfahren – und davon gibt es im Gesundheitswesen viele – können hierüber abgebildet werden“, bekräftigt Dumaine.


Autor/in: Bernd Kaiser, Business Analyst bei der AOK Systems