Empathie geht auch digital

Corona hat die Entwicklung rasant beschleunigt: Der Kontakt mit der Krankenkasse findet heutzutage oft in digitalen Kanälen statt. Hier eine emotionale Nähe herzustellen, ist nicht so einfach. Prof. Alexander Hahn erklärt, wie es trotzdem funktioniert und warum in sozialen Netzwerken oft ein rauer Ton herrscht. Und er spricht darüber, warum er keine GIFs von seiner Bank will und wie stattdessen Authentizität in der Onlinewelt geht.


Sparkasse oder Krankenkasse: Nähe zu den Kundinnen und Kunden ist für Dienstleister wichtig. Jetzt sind diese immer seltener vor Ort und kommunizieren lieber über digitale Kanäle. Funktioniert Nähe auch digital?

Das ist eine Herausforderung, weil der persönliche Kontakt Vertrauen schafft. Und ohne Vertrauen ist es schwer, eine Kundenbeziehung aufzubauen. Es ist aber möglich, wir sprechen hier von der digitalen Empathie.


Was ist damit gemeint?

Eine vertrauensvolle Interaktion mithilfe digitaler Technologien, indem sich Unternehmen auf die Gefühle, Gedanken und Perspektiven ihrer Kundinnen und Kunden einlassen.


Gut geschulte Beschäftigte sind sicher die Grundvoraussetzung?

Ja, und man sollte sie zielgenau auswählen. Es gibt Beschäftigte, deren Affinität für digitale Kommunikation und Technologien höher ist. Das korreliert nicht immer mit dem Alter. Und es gibt Menschen, die Jobzufriedenheit aus dem Umgang mit anderen Menschen ziehen. Schulung ist wichtig, richtige Auswahl fast noch mehr. Wenn sie zufriedene und empathische Beschäftigte haben, wirkt sich das auf die Interaktion mit den Kundinnen und Kunden aus. Wenn sie unzufriedene Service-Center-Mitarbeitende haben, merken die Kundinnen und Kunden das.


Was sind empathische Beschäftigte?

Sie können Gefühle lesen, nachvollziehen und auf sie eingehen. Daneben gibt es die kognitive Empathie, die Fähigkeit zu erkennen, was das Ziel oder die Motivation des Gegenübers ist. Oder man erinnert sich, schon einmal mit jemandem gesprochen zu haben und weiß noch das Anliegen. Personalisierung und Individualisierung sind in der digitalen Kommunikation wichtig. Gute Kundenbeziehungsmanagement-Datenbanken sind ein großer Vorteil.


Nehmen wir mehr Kontakt mit Unternehmen auf, weil es einfacher geworden ist?

Das tun wir privat auch. Die Kommunikationsfrequenz durch WhatsApp hat immens zugenommen. Für Unternehmen ist das eine große Herausforderung, da die Anzahl und die Vielfalt der Kommunikationskanäle weiterhin steigen werden.


Und die müssen dann alle bedient werden?

Kundinnen und Kunden haben den Anspruch, den für sie angenehmsten Kommunikationskanal selbst auszuwählen. Wenn das nicht der Fall ist, sorgt das für Unverständnis, weil es nicht empathisch ist, wenn man ihnen etwas aufzwingt: etwa ein Service-Center mit zu meinem Tagesablauf nicht passenden Uhrzeiten der Erreichbarkeit. Darunter leidet die Marke.


Das hat sich in den vergangenen Jahren ziemlich verändert.

Es findet eine Inflation der Erwartungshaltung statt: Was Menschen aus ihrem privaten Umfeld oder von anderen Firmen gewohnt sind, erwarten sie überall – auch von der Krankenkasse. Diese Erwartungshaltung wird durch die führenden Digitalanbieter gesetzt. Es ist schwer, hier Schritt zu halten.


Wir kennen es aus sozialen Netzwerken: Der Ton in der digitalen Welt ist rau. Haben wir früher freundlicher kommuniziert?

Soziale Netzwerke fördern das. Die wissen genau, dass negative Emotionen Menschen stärker anregen als positive Emotionen. Das ist biologisch verankert. Wir haben Experimente zu TikTok gemacht. Vieles deutet darauf hin, dass auch TikTok versucht, uns über negative Emotionen in der App zu halten.


Inzwischen kommunizieren wir oft mit einem Chatbot. Kann man ein empathisches Erlebnis mit einer Maschine haben?

Das geht vor allem über die kognitive Empathie. Ein Chatbot etwa muss über ein Mindestmaß an Personalisierung und Individualisierung verfügen, sodass man das Gefühl hat: Ich werde abgeholt und die Fragen, die mir gestellt werden, sind relevant, und meine Antworten werden wirklich verstanden. GIFs oder Emojis kommen nicht so gut an. Meistens ist es auch kein Problem, wenn sich der Bot als Bot outet. Es gibt sogar Themen, bei denen sich Menschen lieber an einen Chatbot wenden. Etwa wenn es um Sexualität geht.


Warum kommt es nicht so gut an, wenn eine Versicherung mit GIFs antwortet?

Authentizität ist in der digitalen Kommunikation eine häufige Stolperfalle. Im Kontext einer Versicherung oder einer Bank, zumal vielleicht von einem Chatbot, ist das nicht authentisch. Das kann dann negativ ausgelegt werden.


Auch intern kommunizieren viele Unternehmen über digitale Kanäle. Haben Sie Tipps?

Zentral ist die emotionale Bindung an das Unternehmen. Die Empathie der Mitarbeiterführung auf eine digitale Ebene zu heben, ist ein ganz neues Feld. Ein wichtiges Instrument ist sicher Motivation. Ein Lob vor den Kolleginnen und Kollegen oder öffentliche Anerkennung der Leistung kann viel bewirken. 

 

Zur Person

Digitalexperte Dr. Alexander Hahn ist Professor für Emotionale Künstliche Intelligenz und User Experience Research an der TU Nürnberg. Er forscht in den Bereichen Affective Computing, Digital Branding und B2B Marketing. Davor leitete er die Innovationsberatung der Strategic Design Agentur HYVE mit Kunden wie Adidas oder Porsche. Er kooperiert in Forschungsprojekten mit Firmen und Start-ups und gründete selbst ein Fintech-Start-up.


Autor/in: Fabian Obergföll