Große Schritte im Smart Hospital

Prof. Dr. Jochen A. Werner, Ärztlicher Direktor der Universitätsmedizin Essen, über Digitalisierung im Gesundheitswesen, bessere klinische Prozesse und das Wohlbefinden aller Beteiligten.


Warum ist Digitalisierung im Krankenhaus wichtig?

Eine aktuelle AOK-Studie zeigt, dass für Patientinnen und Patienten eine hohe Qualität der wichtigste Aspekt in der Gesundheitsversorgung ist. Digitalisierung ermöglicht diese hochwertige Versorgung, macht die Medizin leistungsfähiger, humaner und zukunftsfest. Auch Algorithmen und Künstliche Intelligenz sorgen für bessere Therapien dank einer bislang unerreichten Diagnosequalität. Für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bedeutet Digitalisierung außerdem Entlastung von administrativen Prozessen und sich wiederholenden Abläufen. Mit Blick auf Pflegenotstand und Ärztemangel sind diese Erleichterungen unabdingbar.


Wie ist es um die Digitalisierung im deutschen Klinikwesen bestellt? Was sind hierzulande die dringendsten Themen?

Wir sind auf dem richtigen Weg, haben aber noch deutlich Luft nach oben. Bislang war vor allem Eigeninitiative der Kliniken gefragt, auch bei uns. Wir haben digitale Talente in unserer Universitätsmedizin Essen identifiziert, gemeinsam Projektideen entwickelt und umgesetzt. Die Investments finanzierten wir aus unseren Budgets und mit Unterstützung des Landes Nordrhein-Westfalen. Jetzt ist die neue Bundesregierung gefordert, Leitplanken zu setzen und die Finanzierung zu sichern, wie im Schulwesen oder bei der Bahn. Mit dem Krankenhauszukunftsgesetz ist ein erster Wurf gelungen.


Was sind die wichtigsten Digitalisierungsvorhaben und -entwicklungen im Universitätsklinikum Essen?

Wir haben die elektronische Patientenakte eingeführt, auch zur Interaktion mit niedergelassenen Ärzten und anderen Akteuren. Unsere neue zentrale Notaufnahme ist seit 2018 digitalisiert. Wichtige Informationen zu einem Fall liegen also in der Klinik vor, während der Krankenwagen noch unterwegs ist. Das 2020 gegründete, bundesweit einzigartige Institut für Künstliche Intelligenz in der Medizin (IKIM) wird mit fünf Professorenstellen neue Wege aufzeigen, Diagnostik, Prävention und Therapie zusammenzuführen. Digitale Medizin muss jedoch menschlich bleiben. Unser Institut für PatientenErleben rückt unsere Patientinnen und Patienten, ihre Sorgen und Ängste mit in den Fokus der Behandlung.


Wie gehen Sie mit den Themen IT-Sicherheit und Datenschutz, ePA und KI um?

Diese Themen haben bei uns herausragende Bedeutung. Fast 100 Personen kümmern sich als Beauftragte um Datenschutz, dazu gibt es Pflichtschulungen für alle 10.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Allerdings darf Datenschutz nicht höher bewertet werden als der Gesundheitsschutz der Menschen. Für bessere Diagnose und Therapie brauchen wir in der Medizin Daten und Vernetzung.


Welche Rolle spielen die Krankenkassen beim Thema Digitalisierung in Kliniken?

Das Smart Hospital ist grundsätzlich ein Treiber von Strukturveränderungen in der deutschen Gesundheitslandschaft hin zu einer besseren Medizin. Wichtig ist deshalb eine weitere Verzahnung aller vor- und nachgelagerten medizinischen Player, also Krankenhaus, niedergelassene Ärzte, Pflegedienste, Apotheken und Krankenkassen als Kostenträger. Damit ist auch ein Umdenken in diesen Bereichen gefragt, die vielfach noch als Inseln agieren. Krankenkassenmitglieder sind unsere Patientinnen und Patienten. Nicht die Mauern unserer Klinik, sondern die Gesundheits- und Krankengeschichte dieser Menschen definieren unser Handeln.


Welches Potenzial hat Digitalisierung hinsichtlich mehr Gesundheitskompetenz?

Wenn ich darunter das Verständnis von Gesundheits- und Behandlungsinformationen verstehe, glaube ich, dass uns zum Beispiel die elektronische Patientenakte einen großen Schritt nach vorne bringen wird. In ihr sind Blutwerte, Medikamente, Vorerkrankungen, Röntgenbilder und viele weitere Daten strukturiert und übersichtlich gespeichert.


Weniger Hierarchie ist Ihnen wichtig. Kann Digitalisierung Augenhöhe fördern?

Wir müssen bestehende und etablierte Hierarchiemuster überdenken und neu gestalten. Dabei gilt es, von der universitär geprägten, autoritären, spitzhierarchischen Struktur zu einem offenen und wertschätzenden Dialog mit allen Berufs- und Funktionsgruppen zu kommen. Es geht darum, unsere Beschäftigten mitzunehmen, sie offen zu informieren, einzubinden und als Unterstützer zu gewinnen. Wir müssen versuchen, Begeisterung und gute Beispiele für Verbesserungen zu schaffen. In Summe muss sich Medizin auch von innen heraus wandeln, um diese klinische und gesellschaftliche Transformation positiv für alle Betroffenen zu gestalten. Das ist eine große Herausforderung. Digitalisierung kann dabei unterstützen.


Was wünschen Sie sich für die kommenden fünf Jahre?

Generell ein Digitalisierungs-Ministerium in der Bundesregierung. Zudem fortschreitende Digitalisierung im Gesundheitswesen und zugleich eine Sensibilisierung für den Bereich Nachhaltigkeit. Denn Umwelt- und Ressourcenschutz spielen bislang in der Medizin keine große Rolle. Wir verstehen in der Universitätsmedizin Essen unsere Arbeit, die Erhaltung von Gesundheit, als zentralen Beitrag zur Nachhaltigkeit. Das Thema Smart Hospital muss deshalb um das Thema Green Hospital ergänzt werden. Die Universitätsmedizin Essen möchte auch beim Thema Nachhaltigkeit, beim Energieverbrauch und bei der Mobilität, zum Vorreiter des Krankenhauses der Zukunft werden.


Autor/in: Daniel Poeschkens