Jede Entscheidung ist gut
Egal, ob im Beruf oder im Privatleben – vielen von uns fallen Entscheidungen schwer. Warum das so ist, weiß Nadja Petranovskaja. Sie ist Psychologin, Beraterin, Autorin und Entscheidungs-Expertin. Sie berät unter anderem auch Unternehmen, wenn diese schwere Entscheidungen treffen müssen.
Viele Entscheidungen treffen wir ganz schnell, bei manchen quälen wir uns geradezu. Warum ist es manchmal ein Problem, sich zu entscheiden?
Ich finde nicht, dass es ein Problem ist. Vielmehr glaube ich, es ist nicht die Entscheidung, die uns schwerfällt, sondern die Folgen, die daraus entstehen. Und die lassen uns ganz oft ganz schnell zurückspringen und sagen: „Nee, will ich doch nicht!“.
Gibt es eine Strategie, um hier stringenter zu werden?
Ich finde es sehr menschlich, wenn wir nicht wie eine Maschine agieren, sondern hin- und herspringen und uns erlauben, Dinge nicht konsequent zu leben. Wir können heutzutage 24 Stunden am Tag alles machen und das erleichtert nicht gerade eine stringente Lebensweise. Vom Frühstück bis zum Lebenspartner kann ich mich ja theoretisch jeden Tag umentscheiden. Das war früher anders. Heute gibt es allein fünf Apps, mit denen ich jeden Tag einen neuen Partner wählen könnte. Das kann Menschen durchaus verrückt machen.
Kann man es trainieren, bessere Entscheidungen zu treffen?
Es gibt kein Pauschalrezept. Manche haben schon ein Problem, sich zu entscheiden, was sie abends essen sollen. Für andere sind das gar keine Entscheidungsthemen. Die essen einfach irgendetwas und haben das gar nicht als Entscheidung erlebt. Der Wunsch, sich wieder umzuentscheiden, ist auch nicht bei allen gleich. Es gibt genug Menschen, die froh sind, wenn sie gewisse Dinge schnell erledigt haben, und sie würden nie auf die Idee kommen, irgendeine Entscheidung wieder infrage zu stellen, weil sie Stabilität brauchen. Diese Menschen entscheiden sich eher gegen alles, was neu ist. Denn das Neue bedeutet eine Umgewöhnung.
Manches entscheiden wir ja „aus dem Bauch heraus“.
Kann jeder Mensch erspüren, was gerade die richtige Entscheidung ist?
Ja, dieses Bauchgefühl ist tatsächlich mehr als eine Volksweisheit. Bei allen wirklich bewegenden Entscheidungen im Leben wissen wir im Grunde, was wir wollen. Unsere Bedürfnisse melden sich normalerweise – nur leider oft in einem Flüsterton, den wir allzu leicht überhören, weil unsere Ratio in der Regel viel lauter ist als unsere Intuition. Aber im Grunde wissen wir ganz genau, was wir brauchen.
Wie gehe ich am besten mit Fehlentscheidungen um?
Ich bin der Meinung, es gibt keine Fehlentscheidung. Mein Credo lautet: Entweder siege ich oder ich lerne. Ich bedanke mich für jede Entscheidung, die mich nicht dahin gebracht hat, wo ich hinwollte, dafür, dass sie mir den falschen Weg so schnell aufgezeigt hat. Denn je schneller ich mich für A oder B entschieden habe und je schneller ich weiß, dass B nicht das Richtige für mich ist, desto schneller kann ich zurückkehren zu A. Also jede vermeintliche Fehlentscheidung hilft mir ja trotzdem, herauszufinden, was der richtige Weg ist. Je länger ich davorstehe und mich nicht entscheide, desto weniger weiß ich überhaupt irgendwas.
Es gibt da ja immer einen Menschen im Freundeskreis, der sich über Wochen einfach nicht entscheiden kann und allen auf die Nerven geht.
Ja, wobei das im Grunde auch keine Nicht-Entscheidung ist. Denn wenn ich mich wochenlang nicht zwischen A oder B entscheiden kann, dann habe ich mich für C entschieden – nämlich meinen Freundeskreis verrückt zu machen oder diesen bestenfalls um Rat zu fragen. Ich treffe ja letztendlich immer eine Entscheidung.
Sie helfen auch Organisationen bei der Entscheidungsfindung.
Ja, ich arbeite auch für Konzerne, wo es ja ständig um Entscheidungen geht. Ein Thema ist das Schaffen von Entscheidungsgrundlagen, etwa für das höhere Management. Auf einer Seite muss alles draufstehen, um daraufhin eine Entscheidung treffen zu können, also Zahlen, Fakten, Bilder, damit ein Mensch, der ansonsten nicht so tief in den Details steckt, sofort sagen kann: „machen wir“ oder „machen wir nicht“. Ich moderiere auch oft Entscheidungsprozesse in Unternehmen mit einzelnen Menschen, Teams oder den Vorständen.
Wie funktioniert das genau?
Ich mache erst mal die Entscheidungsgrundlage so sichtbar wie möglich, weil die Menschen am Tisch unterschiedliche Vorstellungen von dem haben, worum es geht. Wenn man über Äpfel redet, denkt der eine an einen roten Apfel und der andere an einen gelben. Dann geht es darum, alles abzuwerfen, was nicht wichtig ist für die Entscheidung. Vielleicht ist der Geschmack des Apfels nicht relevant, weil wir uns eventuell nur auf eine Farbe einigen müssen. Manchmal geht es auch darum, wessen Stimme mehr Gewicht hat, denn manche Abteilungen in der Firma sind von den Konsequenzen der Entscheidung mehr betroffen als andere. Um das auszuloten, muss ich keine Expertin für Obst sein. Ich bin eher so etwas wie eine Hebamme für den Geburtsprozess der Entscheidung.
Das Interview erschien zuerst in der Mitarbeitendenzeitung WIR der AOK Baden-Württemberg
Zur Person
Psychologin. Nadja Petranovskaja ist Organisations- und Arbeitspsychologin und coacht seit 30 Jahren Führungskräfte. In ihren Büchern und Blogbeiträgen beschäftigt sie sich mit der Zukunft der Arbeit und wie man bessere Entscheidungen trifft. Die gebürtige Russin lebt seit 1992 in Hamburg. Zusammen mit Tobias Leisgang hat sie „Das Handbuch der Entscheidungen“ geschrieben.
Mehr Infos: https://petranovskaja.com