Offene Kommunikation ist die Basis von Erfolg
André Henning spielte in der Herrenhockey-Bundesliga und für die deutsche U18-Nationalmannschaft, bevor er aufgrund einer Verletzung seine Karriere früh beenden musste. Parallel zu seinem Jura-Studium arbeitete er als Trainer. 2023 gewann er den Weltmeistertitel im Männer-Hockey und wurde „Welttrainer des Jahres“. Auf dem Informationstag sprach er darüber, wie man ein Team motiviert und es in die Lage versetzt, selbst unter hohem Druck gute Leistungen zu erzielen.
Herr Henning, wie kommt man als Hockeytrainer eigentlich dazu, für Unternehmen Vorträge zum Thema Teamführung und Mitarbeitermotivation zu halten?
Das kam eher zufällig zustande: Ich hatte mich am Rande einer Veranstaltung mit jemandem darüber unterhalten, wie man ein Team motiviert und dieses in die Lage versetzt, selbst unter hohem Druck gute Leistungen zu erzielen. Dabei ließ ich die Bemerkung fallen, dass Leistungssportler:innen die perfekten Mitarbeitenden seien. Denn all das, was sie während ihrer sportlichen Karriere lernen, können sie später auch im Beruf anwenden. Das Ganze habe ich anhand einiger Beispiele erläutert. Und plötzlich stand die Frage im Raum, inwieweit es mit Blick auf meine Erfahrungen Analogien zu anderen Berufen geben könnte. Dies wiederum resultierte schließlich in einem ersten Vortrag. Seitdem sind derlei Präsentationen zu einem schönen Nebenjob geworden.
Was erhoffen sich Firmen denn von Ihnen, wenn diese Sie als Speaker buchen?
Manche möchten von außen einen Blick auf das eigene Unternehmen erhalten. Andere sagen mir: „Wir befinden uns in einer einer Krisensituation und wissen nicht, wie wir da wieder herauskommen. Wir haben gehört, dass Sie Krisen im Sport offenbar gut meistern. Vielleicht können Sie uns diesbezüglich ein paar Tipps geben?“ Eine andere Firma – in ihrem Bereich Weltmarktführer – wollte von mir dagegen Ratschläge haben, wie sie ihre Stellung als Nummer eins verteidigen kann.
Das heißt also: Sie arbeiten nicht einem einzigen Standardvortrag?
Genau. Ich schaue stattdessen immer individuell: Wo steht das betreffende Unternehmen – oder ein bestimmtes Team innerhalb einer Firma – aktuell? Dabei reicht die Bandbreite von einem Dutzend Führungskräften, denen ich gegenübersitze, bis hin zu 1.000 Mitarbeitenden. Auch in dieser Hinsicht sind jeweils ganz unterschiedliche Inhalte gefragt. Das Motto bei der AOK Systems wiederum lautete „Gemeinsam. Stark.“ Und das ist im Grunde auch genau der Ansatz, den wir bei unseren Hockeyteams pflegen: Es geht viel um Kooperation und kollaborative Führung.
Das Thema Ihres Vortrags lautete „Gestern. Heute. Morgen. Wenn man immer alles vorher wüsste!“. Was wollten Sie damit zum Ausdruck bringen?
Dass dort, wo Menschen zusammenarbeiten, nicht alles steuerbar ist. Ich glaube, diese Erkenntnis ist vor allem wichtig für Führungskräfte: Es geht darum, ein Stück weit loszulassen und Verantwortung an das Team zu übergeben. Das ist natürlich immer mit einer gewissen Unsicherheit verbunden, die es aber ohnehin in sämtlichen Prozessen gibt – egal, ob in einem Unternehmen oder auf dem Spielfeld. Gerade im Leistungssport gilt dies ganz besonders. Denn egal, wie gut die eigene Mannschaft agiert: Es steht immer noch ein gegnerisches Team auf dem Platz, das einen am Erfolg hindern will. Außerdem gibt es die Schiedsrichter:innen, von denen wir nicht immer wissen, wie sie entscheiden werden. Dieses komplexe Zusammentreffen der Kräfte bedeutet, dass nicht alles planbar ist. Dies auch im Job aufzuzeigen, ist sehr wichtig.
Sie sagen auch: „Jedes Team ist intelligenter als dessen Führung“. Wie ist das zu verstehen?
Ganz einfach: Die gesammelten Ideen aller sind in der Regel besser als die Ideen eines Einzelnen. Diese Erkenntnis ist aber bei vielen Führungskräften leider noch nicht angekommen. Auch ich habe das in meinem Job als Hockeytrainer erst im Laufe der Zeit erlernen müssen. Zuvor war ich der Meinung, dass allein der Coach aufgrund seiner hervorgehobenen Stellung immer für alles die passende Lösung liefern müsse. Das ist ein Irrglaube.
Wie lässt es sich denn erreichen, dass in einem Team – egal, ob im Sport oder im Beruf – mehr Ideenaustausch und Partizipation stattfindet? Sie erwähnen in diesem Zusammenhang den Begriff Cross Coaching. Was ist das?
Damit ist gemeint, dass man schwierige Aufgaben gemeinsam löst und die jeweiligen Stärken einzelner Teammitglieder gezielt einsetzt, um auf Herausforderungen zu reagieren. Im Kern geht es darum, verschiedene Sichtweisen und Talente einzubringen sowie dabei miteinander respektvoll und wertschätzend umzugehen.
Könnten Sie das etwas genauer beschreiben?
Wichtig ist, dass ich als Coach Plattformen schaffe, mit deren Hilfe verschiedene Teammitglieder ein Feedback geben können. Das darf nicht nur mir als Führungskraft vorbehalten bleiben! Es geht darum, einen Rundumblick zu erhalten. Übertragen auf den Hockeysport heißt das beispielsweise, dass ich mir als Trainer nicht nur die Meinung eines erfahrenen Führungsspielers einhole, der schon 300 Länderspiele absolviert hat, sondern auch von jemandem, der erst kürzlich zum Team gestoßen ist und darum eine ganz frische Sicht auf die aktuelle Situation oder ein Thema liefern kann.
Egal, ob im Sport oder im normalen Job: Nicht jede oder jeder ist dazu berufen, sich mehr oder weniger lautstark zu äußern. Ein offenes Feedback zu geben, fällt manchen Menschen sehr schwer. Wie also kann man es erreichen, dass auch sogenannte grauen Mäuschen sich trauen, etwas zu sagen?
Klar: Es ist nicht jedermanns Sache, vor versammelter Truppe zu sprechen und offen eigene Ansichten, vielleicht sogar Gefühle und Bedürfnisse zu äußern. Darum muss eine Führungskraft stets überlegen: Welche Art von Kommunikations-Plattform biete ich an? Im besten Fall findet man dann vielfältige Lösungen. Also: Nicht alle müssen immer vor dem gesamten Team sprechen. Es geht darum, für alle Beteiligten Safe Spaces zu kreieren. Bei der zitierten grauen Maus kann dies beispielsweise ein Gespräch unter vier oder sechs Augen sein. Wichtig ist dabei stets, zu erfahren: Welche Bedürfnisse hat jede einzelne Person und wie lässt sich erreichen, dass diese ihre ganz individuellen Stärken und Talente für das Team einzubringen vermag.
Ist das wichtig?
Das ist mit der wichtigste Punkt, wenn es um die Motivation von Mitarbeiter:innen geht. Ziel muss es sein, dass jemand morgens am Arbeitsplatz erscheint und sagt: „Wie schön, dass meine Fähigkeiten hier gesehen werden und dass ich in der richtigen Position bin, um diese auch wirksam einzubringen!“ Genau dadurch entstehen in einem Team Vertrauen und Sicherheit. Das ist aber natürlich ein komplexer Prozess, den man vor allem zu Beginn vorsichtig initiieren und dann, Schritt für Schritt, immer weiter ausbauen mus
So manche Führungskraft wird jetzt womöglich denken: Ein solches Prinzip mit verschiedenen Feedback-Plattformen bindet viel Zeit und Ressourcen, welche im Joballtag dann für die vermeintlich wirklich wichtigen Dinge fehlen. Was entgegnen Sie denen?
Zum einen, dass man gar nicht so viel Zeit investieren muss, wie es zunächst vielleicht den Anschein hat. Wenn man alle 14 Tage eine Stunde lang im Team herumfragt und die aktuelle Lage bespricht – in welcher personellen Konstellation auch immer –, dann sollte das eigentlich genügen. Und auf Dauer werden derlei Gespräche ja immer besser und effizienter ablaufen. Wiichtig ist dabei absolute Klarheit: Nur wer offen kommuniziert, kommt wirklich weiter. Vor allem dann, wenn es mal nicht so gut läuft, muss ein Team in der Lage sein, schnell und agil handeln zu können.
Und wie bekommt man das hin?
Das wiederum funktioniert nur, wenn man sich auch mal konfrontativ austauscht und auch mal jemand zurückgepfiffen wird, der vielleicht in die falsche Richtung läuft. Sonst geschieht das, was wohl viele von uns kennen: Dinge bleiben unausgesprochen, weil die meisten denken: „Bevor es zum Streit kommt, sage ich mal lieber gar nichts“. Kleine, still brodelnde Konfliktherde werden dann aber schnell größer und führen letztlich zu einem Team, das gar nicht mehr funktioniert. Um dies zu vermeiden, ist gegenseitiges Vertrauen unabdingbar – und das kommt hoffentlich unter anderem durch das Cross Coaching zustande.
Hätten Sie abschließend noch ein anschauliches Beispiel parat? Wann und wo hat denn in Ihrer täglichen Arbeit das Cross Coaching mit verschiedenen Beteiligungs-Plattformen dazu geführt, dass innerhalb eines Teams nicht nur die Motivation der Beteiligten angestiegen ist, sondern sich am Ende auch ein messbarer Erfolg eingestellt hat?
Ganz extrem war dies der Fall, als ich von 2014 bis 2016 als Coach das Nationalteam der Hockey-Frauen übernahm und dieses auf die Olympischen Spiele in Rio vorbereitete. Damals haben wir eine unfassbar breite Palette an Beteiligungsprozessen angeboten und dafür gesorgt, dass die Spielerinnen viele Dinge selbstständig entscheiden konnten. Dies wiederum führte dazu, dass die Mannschaft als Weltranglistenzehnte an den Start ging und am Ende die Bronzemedaille gewann. Das war damals auf den ersten Blick eine absolute Sensation – für uns allerdings alles andere als ein Zufall. Mit wie viel Freude alle Beteiligten damals gemeinsam gearbeitet haben und wie klar, aber auch durchaus hart diese Mannschaft auf dem Weg zum Erfolg seinerzeit miteinander kommuniziert hat – das war wirklich herausragend.