Immerhin eine Strategie
In Sachen Digitalisierung liegt das deutsche Gesundheitswesen im internationalen Vergleich zurück. Das hat auch die Bundesregierung erkannt. Das E-Health-Gesetz war ein erster wichtiger Schritt. Im November stellte das BMG die Studie „Weiterentwicklung der E-Health-Strategie“ vor. Es war bereits die zweite Studie zu dieser Thematik im Jahr 2016.
Experten sagen es schon lange, inzwischen hat auch die Bundesregierung erkannt: das Gesundheitswesen braucht in Sachen Digitalisierung dringend Entwicklungshilfe. Andere Länder sind längst viel weiter: Norwegen hat das eRezept, Dänemark eine eHealth-Behörde, Estland arbeitet mit Hochdruck an einer digitalen ID-Karte inklusive Gesundheitsinformationen und Österreich hat die elektronische Gesundheitsakte flächendeckend in Einsatz. Vor allem die skandinavischen und angelsächsischen Länder sind Vorreiter beim Einsatz neuer Technologien im Gesundheitswesen. Hierzulande fehlt es vor allem im ersten Gesundheitsmarkt an Struktur, Innovationen und den Rahmenbedingungen. Dass die Bürger offen für Neues sind, zeigen die Wachstumsraten im zweiten Gesundheitsmarkt. Und Fakt ist: Dass es bisher keine sicheren und nutzerfreundlichen Kommunikationswege zum Datenaustausch gibt, bedeutet nicht, dass dieser Datenaustausch nicht stattfindet. Stattdessen findet er auf unsicheren Kommunikationswegen wie E-Mail, WhatsApp und anderen Plattformen statt.
Fragen an die Experten
Flankierend zum E-Health-Gesetz hat das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) im April 2016 die Studie "Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps – CHARISMHA" veröffentlicht, die am Peter L. Reichertz Institut für medizinische Informatik erarbeitet wurde. Lesen Sie dazu auch "Ist das jetzt schon Medizin?" aus sysTEMATIC 05|2016. Die neue Studie „Weiterentwicklung der E-Health-Strategie“ liefert nun eine Bestandsaufnahme zu der Frage, wie die immer stärkere Digitalisierung für neue Versorgungsstrukturen und -abläufe im Gesundheitswesen genutzt werden kann. Dabei wurden Chancen, Herausforderungen und Risiken einzelner technologischer Entwicklungen unter Einbeziehung der wesentlichen Akteure im Gesundheitswesen systematisch und umfassend aufgearbeitet. In Interviews und im Rahmen von Workshops wurden auch Experten des AOK-Bundesverbandes, der AOK Nordost, der AOK Systems, der BITKOM, der gematik, der gevko, des GKV-Spitzenverbandes und viele mehr gehört. Die Studie wurde von „Strategy&“, das zu PWC gehört, erstellt und wissenschaftlich von Professor Wolfgang Greiner, Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, begleitet.
Antrieb für den Fortschritt
Vier Trendcluster, die die Entwicklung im Gesundheitswesen entscheidend beeinflussen, wurden im Rahmen der Studie identifiziert: Demografie, strukturelle Finanzierungsdifferenzen, Individualisierung und Digitalisierung – wobei die Digitalisierung gleichzeitig der Enabler ist, um die anderen drei Herausforderungen zu meistern. „Die Digitalisierung wird die weitere Entwicklung unseres Gesundheitswesens in entscheidender Weise prägen und ist ein besonders wichtiger Antrieb für den medizinischen Fortschritt. Mir geht es darum, dass Patientinnen und Patienten digitale Anwendungen besser, sicherer und schneller als bisher nutzen können. Deshalb machen wir mit dem E-Health-Gesetz Tempo bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen“, erklärte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe. Die Ergebnisse und Handlungsempfehlungen der Studie sollen deshalb helfen, neue Technologien und Erkenntnisse schneller in der ambulanten und stationären Behandlung umzusetzen. Erstes und wichtigstes Ergebnis ist, das künftig immer die Verbesserung der Versorgungsqualität beim Einsatz von E-Health und Big Data in den Mittelpunkt zu stellen ist. E-Health steht dabei als Oberbegriff für den gesundheitsbezogenen Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnik wie der Telematik oder Telemedizin, Big Data für die Verarbeitung großer unstrukturierter Datenmengen mit dem Ziel, neue Zusammenhänge zu erkennen.
Es muss sich abrechnen lassen
Das Problem von E-Health- wie auch Big-Data-Anwendungen im ersten Gesundheitsmarkt besteht bisher vor allem in den mangelnden Möglichkeiten der Finanzierung im Rahmen der staatlich finanzierten Gesundheitsversorgung. Das müsse sich dringend ändern. Ein weiteres Problem ist das Fehlen von einheitlichen Rahmenbedingungen, verbindlichen Standards sowie der mangelnden Kooperation der einzelnen Akteure und Sektoren. Bereits im E-Health-Gesetz ist die Entwicklung eines einheitlichen Bezugssystems festgelegt, um eine flächendeckende Interoperabilität zu erreichen.
Die gematik soll dazu nun ein Verzeichnis erstellen und Referenzempfehlungen erarbeiten, die anschließend gesetzlich geprüft werden sollen. Gleichzeitig gibt es zu viele Parallelstrukturen, die die Entwicklung eher bremsen als fördern. Das gilt auch für die Aktivitäten der verschiedenen Ministerien und Behörden auf Bundes- und Landesebene. Es existieren zu viele Initiativen und Programme, die außerdem meistens nur die technische Komponente im Blick haben. Zukünftig soll immer die qualitative Verbesserung der Versorgung mit einem konkreten Nutzen für die Versicherten im Mittelpunkt stehen – Kosteneinsparungen sind eher sekundär.
Ohne Infrastruktur läuft es nicht
Schlussendlich funktionieren neue Versorgungsmodelle nur, wenn alle an einem Strang ziehen. Was passiert, wenn dies nicht der Fall ist, zeigt die eGK. Deshalb sollen künftig noch besser alle Akteure frühzeitig und intensiv in die Entwicklung einbezogen werden. Gleichzeitig sollen die Handlungsspielräume der Akteure sowie aller Gesetze und Regelungen überprüft werden. Und natürlich müssen auch die Nutzer vom Nutzen überzeugt sein. Deshalb sollte die gesellschaftliche Akzeptanz erhöht werden. Dazu soll die Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten bei der Bevölkerung und insbesondere beim Fachpersonal des Gesundheitswesens beitragen. Das BMG wird außerdem in Kürze eine Forschungsförderung im Bereich Ethik und Digitalisierung im Gesundheitswesen ausschreiben. Dies alles soll dem Primärziel dienen: die zeitnahe Erhöhung der Versorgungsqualität durch den sinnvollen Einsatz von E-Health und Big Data im Gesundheitswesen. Eine ganz grundlegende Hürde besteht allerdings weiterhin. Die Breitbandinfrastruktur hierzulande ist gerade auf dem Lande so unzureichend, dass die moderne Technologie überhaupt nicht zum Zuge kommen kann. Hier ist der Staat zuallerst gefordert.