oscare® goes S/4HANA
Die AOK Systems bereitet oscare® auf den nächsten Evolutionsschritt vor. SAP S/4HANA heißt die neue Technologieplattform, die die SAP Business Suite perspektivisch ablöst. Udo Patzelt, Geschäftsbereichsleiter Produkt- und Releasemanagement, erläutert im Interview die neuen Möglichkeiten und die ersten Schritte.
Der heutige Status ist doch, dass jede Kasse arbeiten und ihr Tagesgeschäft mit oscare® bewältigen kann. Also ist doch alles in Ordnung, oder?
Ja. oscare® unterstützt alle Prozesse, die eine Krankenkasse braucht, mit aktuellen Funktionalitäten. Gesetzesänderungen werden in unsere Software eingearbeitet, so dass sie auch immer rechtzeitig der dann gültigen Gesetzeslage entspricht. Es gibt auch eine Reihe von neuen Technologien, die die SAP in den letzten Jahren herausgebracht hat, und die wir auf dem letzten Informationstag der AOK Systems im Dezember vorgestellt haben. Zwei Wesentliche sind die HANA-Datenbank und die Fiori-Benutzeroberfläche. Sie stehen dem heutigen oscare® schon zur Verfügung und wir haben damit auch schon Produkte entwickelt. Die Zahl wird sich jetzt stetig erhöhen. Da sind wir gut aufgestellt.
Reicht es dann nicht erst mal aus, diese Technologien konsequent zum Einsatz zu bringen?
Es geht um mehr. Um ein Gesamtbild und eine Gesamtstrategie. Die Digitalisierung treibt zur Zeit die ganze Welt und natürlich auch die Krankenkassen um. Jeder versteht darunter aber etwas anderes. Der Kern davon ist aber, dass sich die gesamte globale Kommunikation und das weltweite Zusammenarbeiten zunehmend über digitale Medien und Technologien abwickeln lassen. Das ist branchenspezifisch unterschiedlich stark ausgeprägt. Im Wesentlichen geht es zunächst um die verschiedenen Kontaktkanäle, die man – unterstützt durch Entwicklungen wie Smartphones und Tablets – für seine Kunden bereitstellt, um so mit ihnen in Verbindung und auch eng an ihren Bedürfnissen zu bleiben. Der erste Punkt ist also, dass sich Kassen darauf einstellen müssen, was der Kunde in dieser Richtung nutzen möchte und wo seine Vorlieben sind: Apps, Chats, Videochats und so weiter.
Und der zweite Punkt?
Der zweite Punkt, wo die Digitalisierung die Krankenkassen herausfordert, ist die Kommunikation mit den Leistungserbringern. Ein Großteil der Kommunikation ist bereits standardisiert, gesetzlich geregelt und wird IT-seitig unterstützt. Mit der Digitalisierung wächst aber der Bedarf, diese Kommunikation zwischen den Beteiligten weiter auszubauen. Und ein letzter Punkt ist die Herausforderung der Kassen, die demografische Entwicklung ihres Mitarbeiterstamms zu bewältigen. Mitarbeiter scheiden altersbedingt aus, Stellen können auf Grund der Arbeitsmarktsituation qualitativ und quantitativ nur unzureichend nachbesetzt werden. Auf der anderen Seite gibt es aber neue Aufgaben, so dass eine Kasse sich fragen muss, wie sie mit weniger Mitarbeitern das gleiche oder wachsende Arbeitspensum stemmen kann. Vor dem Hintergrund dieser Themen haben wir uns ein Bild über den heutigen Status und die künftigen Herausforderungen gemacht und uns gefragt, ob wir dafür gerüstet sind. Und das sieht mit oscare® und den aktuellen Technologieperspektiven sehr gut aus.
Über die HANA-Datenbanktechnologie haben wir schon mehrfach gesprochen. Warum ist sie auch perspektivisch so wichtig?
Den Weg in Richtung HANA, also der Einsatz der neuen Datenbanktechnologie, haben wir schon vor ein paar Jahren eingeschlagen. Man muss wissen, dass bei SAP-Anwendungen die Datenbank existenziell ist. SAP ist ein Anwendungssystem, das nicht nur die Kunden- und Prozessdaten in einer Datenbank hält, sondern auch alle Anwendungen und es nimmt auch die Steuerungen über die Datenbank wahr. Das waren bislang relationale Datenbanken. Und SAP hat alle am Markt befindliche Datenbanken unterstützt, also auch Oracle- und IBM-Datenbanken, wie sie unsere Kunden nutzen. Mit HANA hat SAP eine innovative Technologie entwickelt, die sehr viel schneller als die bisherigen relationalen Datenbanken ist und alle Daten im Hauptspeicher hält. Und perspektivisch bietet sie die Möglichkeit, dass die Datenbank nicht nur die Daten enthält und bereitstellt, sondern dass in der Datenbank auch die Verarbeitung selber durchgeführt werden kann. Das bringt gewaltige Geschwindigkeitsvorteile und ganz neue Anwendungsmöglichkeiten. Und um die nutzen zu können, wird oscare® schon seit Jahren auf einen Umstieg auf die HANA-Datenbank vorbereitet. Ein Teil unserer Kunden hat auch schon einen Teil seiner Systemlandschaft auf HANA umgestellt.
Was genau muss man sich unter S/4HANA vorstellen?
Die SAP ist derzeit dabei, das Pferd zu wechseln. Das bisherige Kernsystem der SAP für die Versicherungen, die SAP Business Suite, lauffähig auf allen am Markt verfügbaren Datenbanken, wird von SAP die nächsten zehn Jahre garantiert weitergeführt und unterstützt. Konzentrieren wird sich SAP aber vor allem auf SAP S/4HANA. Das ist jetzt ein zweites, paralleles Produkt zur Business Suite, das zunächst die Funktionalität der Business Suite beinhaltet, aber neue Perspektiven bietet.
Welche wären das?
In der Business Suite sorgt die Datenbank dafür, dass die Daten für die Anwendungen bereitgestellt werden. Die Verarbeitung der Anwendungen geschieht dann auf einem eigenen, dezidierten Anwendungsrechner. Doch vorher müssen sie von der Datenbank auf den Anwendungsrechner transportiert werden. S/4HANA kann Daten jetzt direkt in der HANA-Datenbank verarbeiten. Der Wegfall des Transportweges bringt enorme Performancevorteile. Eine Folge ist jedoch, dass SAP S/4HANA nur noch auf HANA und nicht mehr auf anderen, relationalen Datenbanken läuft. SAP hat signalisiert, dass die innovativen Themen künftig vor allem direkt auf S/4HANA entwickelt und dort zur Verfügung gestellt werden. An diesen künftigen Entwicklungen und Innovationen wollen wir mit oscare® teilhaben. Insofern war es für uns naheliegend, dass wir mit oscare® auch das Pferd wechseln: von der SAP Business Suite auf SAP S/4HANA.
Ohne einen Wechsel wäre also absehbar, dass man sich künftig technologisch einengt.
Das liegt noch in der Zukunft und würde noch ein paar Jahre dauern, aber wir sehen das so. Viele Themen wird man auf der aktuellen Business Suite nicht mehr so gut entwickeln können wie auf S/4HANA. Beispielsweise werden die neuen Anwendungen, die unter S/4HANA entstehen, von SAP durchgängig mit SAP Fiori umgesetzt. Die neue Oberflächentechnologie bringt gewaltige Effizienzvorteile. Fiori ist technologisch zwar auch für die bisherige Business Suite verfügbar, dort wird SAP jedoch voraussichtlich nicht mehr in ein Re-Design und eine Optimierung ihrer Anwendungen investieren.
Was wäre der erste Schritt zur Umstellung auf S/4HANA?
Eine Lizenz für die HANA-Datenbank ist zwingende Voraussetzung. Nahezu alle unsere Kunden haben sich aber schon entschieden, den Weg Richtung S/4HANA mit uns zu gehen, und verfügen über diese Lizenz.
Wie muss man sich so einen Wechsel vorstellen?
Es geht los mit einem Umstellungs-/Migrationsprojekt, bei dem wir die jetzige technische Plattform gegen die S/4HANA-Plattform austauschen. Ein großes Plus dabei ist, dass alle entwickelten Anwendungen und Funktionen erst mal auf die neue Plattform übernommen werden können. Aus Sicht des Investitionsschutzes und der Aufwände, die in die oscare®-Entwicklung seit 1999 geflossen sind, ist das enorm wichtig. Die Fachlichkeit und die Prozesse für das Tagegeschäft bleiben erhalten und werden durch die HANA-Datenbank beschleunigt. Das ist ein evolutionärer Übergang auf SAP S/4HANA, kein disruptiver. Sukzessive bringen wir dann danach die neuen Möglichkeiten zum Einsatz.
Plattform und Technologien. Wie muss man sich das im Zusammenspiel vorstellen?
Das sind in der Tat zwei unterschiedliche Themen. Das Eine ist der Umstieg auf eine neue Plattform, von der alten Business Suite auf eine neue namens S/4HANA. Und das Andere sind Technologien und Anwendungen, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Krankenkassen bei ihrer täglichen Arbeit unterstützen. Für den Mitarbeiter ändert sich zunächst nichts bei dem Übergang auf die Plattform S/4HANA. Und die schiere Existenz der neuen Technologien hat auch erst mal keine Wirkung. Die entfaltet sich erst dann, wenn wir oder SAP sie in Anwendungen einbauen. Dann haben wir in der Anwendung neue Unterstützungen und Effizienzgewinne. Smarte Oberflächen mit Fiori vereinfachen die Bedienung der Anwendungen, Prozessautomatisierung und das intelligente Regelwerk BRFPlus entlasten bei massenhaft auftretenden Routineaufgaben, bei der Fallbearbeitung können in Echtzeit mit Sidecar kontextbasierte Dokumente angezeigt werden, prädiktive Analytik unterstützt durch Voraussagen bei Leistungsfällen und, und, und. Mit dem Einbau dieser neuen Technologien in oscare® haben wir schon in 2015 begonnen und 2016 eine ganze Reihe von Produkten entwickelt. Das wird auch so weitergehen und durch S/4HANA weiter begünstigt. Wir werden für eine Übergangszeit unsere Anwendungen so entwickeln, dass sie möglichst sowohl unter der bisherigen Business Suite als auch unter S/4HANA einsetzbar sind. Es wird allerdings auch einige neue Produkte geben, die nur in Verbindung mit S/4HANA genutzt werden können.
Wie lange dauert die komplette Umstellung auf S/4HANA?
Wir haben intern sieben strategische Projekte gestartet, die die Umstellung von oscare® auf S/4HANA vorbereiten. Untersuchungsthemen sind dabei zum Beispiel: Läuft unter der neuen Plattform alles mit korrekten Ergebnissen? Wo können wir noch Optimierungen vornehmen, um weiteres Potenzial zu heben? Wie kann die oscare®-Systemlandschaft noch verschlankt und über die Jahre aufgebaute Komplexität herausgenommen werden? Anfang 2018 wollen wir bereit sein, einen ersten Kunden pilothaft auf S/4HANA umzustellen. Dieses Pilotprojekt wird dann ein halbes oder dreiviertel Jahr laufen und wir gehen davon aus, dass der Pilotkunde dann in der zweiten Jahreshälfte 2018 mit S/4HANA produktiv ist. Die Umstellungsprojekte aller weiteren Kunden können dann anlaufen. Unser Interesse ist, dass sich das insgesamt nicht zu lange hinauszögert, da in dieser Zeit zwei Plattformen parallel zu pflegen und zu warten sind und nicht alle Weiterentwicklungsmöglichkeiten von S/4HANA ausgeschöpft werden können. 2020 möchten wir deshalb alle Kunden auf S/4HANA haben.
Wo liegen die Herausforderungen?
Sie bestehen weniger bei den Kassen. Das darf man nicht mit einer großen oscare®-Einführung vergleichen, wo sich die Prozessunterstützung gravierend geändert hat. Die Mitarbeiter müssen nicht umgeschult werden und können einfach weiterarbeiten. Bei den Rechenzentren, den IT-Dienstleistern der Kassen, ist das anders. Sie müssen die Migration und Umstellung vorbereiten, testen und durchführen. Und das für alle ihre Kunden. Dadurch ergibt sich auch der genannte Zeithorizont, weil man nicht alle Kunden gleichzeitig und parallel umstellen kann.
Wird sich 2020 durch die neuen Technologien und Möglichkeiten das Zusammenspiel von Krankenkassen und Versicherten ändern?
Was sich gravierend ändern wird, sind die Kommunikationsmöglichkeiten. Die Kasse muss sich darauf einlassen, dass sie die Kanäle anbietet, die sich der Versicherte wünscht und auch sonst in seinem Privatleben nutzt. Wir reden hier vom Aufbau und der Beherrschung eines Omnichannel-Managements. Wir müssen nach wie vor Briefe, Faxe und Mails bedienen, aber auch die „rund um die Uhr“-Kommunikation über Apps, Online-Geschäftsstelle und Chats. Und wir müssen dem Versicherten auch ermöglichen, während eines Vorgangs seinen Kanal zu wechseln und nahtlos fortzufahren. Wir überprüfen zur Zeit auch, ob wir für diese Omnichannel-Kommunikation nicht eine eigene technische Plattform einsetzen sollten.
Was würde diese technische Plattform für die Kommunikationskanäle leisten?
Die ganzen logischen Prüfungen und Hilfefunktionen in oscare®, die bisher in erster Linie den Sachbearbeiter unterstützen, müssen jetzt auch im Hintergrund für die Nutzung der Online-Geschäftsstelle über den PC und auch per Apps und Smartphone arbeiten. Man kann das jetzt für alle Kanäle mit einem hohen Aufwand separat realisieren. Oder wir versuchen, diese grundsätzlichen Prüfungen und Hilfefunktionen auf einer technischen Plattform abzubilden. Dann ändert sich nach außen nur noch das Erscheinungsbild bei Nutzung über den PC oder Smartphone. Das hat den großen Vorteil, dass die Geschäftslogik nur noch an einer Stelle gepflegt werden muss und sie dann auf allen Kanälen einheitlich zur Verfügung steht.