Wenn Maschinen Menschen verstehen
Täglich erblicken Hunderte neue digitale Helfer das Licht der Welt. In den Stores von Apple und Google sind Millionen verfügbar – und trotzdem deutet viel darauf hin, dass das Ende des App-Zeitalters naht. Die neuen Stars am digitalen Himmel sind Messenger Dienste. In Asien haben sie bereits die Aufgaben der Apps übernommen.
Wenn die Apps verschwinden, wird das DispIay ziemlich leer sein, dafür bieten sich den Nutzern viele neue Möglichkeiten. Der Wandel hin zu Messenger Diensten wird sich auf verschiedenen Ebenen vollziehen und erfordert bestimmte technische Voraussetzungen. Eine ganz wichtige Rolle spielt dabei die künstliche Intelligenz (KI). Inzwischen werden die digitalen Zellen von Monat zu Monat schlauer und schneller. Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten für Unternehmen, aber auch in der Gesundheitsversorgung. Das Stichwort heißt Chatbots. Es ist noch nicht lange her, da hatten diese intelligenten Dialogsysteme einen ziemlich schlechten Ruf. Angeblich können mit ihrer Hilfe Meinungen im Internet manipuliert, Wahlen beeinflusst werden. Inwieweit das möglich ist, ist unter Experten umstritten, unumstritten ist aber, dass Chatbots zukünftig eine intelligente Schnittstelle zwischen Mensch und Maschinen sein werden. Früher mussten Menschen lernen, wie sie Maschinen bedienen konnten, heute lernen Maschinen, mit Menschen zu kommunizieren. Und die Maschinen lernen sehr schnell.
Ein Dienst, der alles kann
Keine Frage, viele Apps sind unglaublich nützliche Helfer. Aber sie sind für einen gewissen Zweck programmiert und mit bestimmten Informationen gefüttert. Sollen sie mehr können oder wissen, benötigen sie ein Update. Sie sind auch nicht wirklich interaktiv. Und die Zahlen zeigen, wohin die Reise geht. Eine Studie von Adobe Digital belegt, dass zwischen 2014 und 2016 die App-Nutzung in Europa um 13 Prozent gestiegen ist, im Rest der Welt ist sie gleichzeitig um 25 Prozent gesunken. 88 Prozent aller Nutzer verwenden sogar nur regelmäßig fünf Apps, obwohl sie viel mehr auf ihrem Smartphone installiert haben. Davon werden aber 23 Prozent nur einmal benutzt. Und 65 Prozent der Smartphone-Nutzer laden überhaupt keine Apps mehr runter. Dafür nutzen mehr als drei Milliarden Menschen mehr als 17-mal pro Tag einen Messenger Dienst. Und bei Weitem quatschen oder chatten sie dabei nicht nur mit Freunden und Verwandten, sondern buchen Urlaub, überweisen Geld oder beschweren sich beim Kundendienst ihres Stromversorgers. Zum Beispiel WeChat: Knapp 800 Millionen Menschen, hauptsächlich in China, nutzen diesen Messenger schon seit Jahren für Bestellungen oder zur Jobsuche. Dies funktioniert mithilfe von Mini-Programmen, die im Messenger installiert sind oder über einen QR-Code aktiviert werden.
Ein neues Betriebssystem
Ein Messenger Dienst wird dadurch noch zu viel mehr, er ist quasi ein Betriebssystem über dem Betriebssystem. Eine Oberfläche, über die unzählige Funktionen aktiviert oder genutzt werden können. Weiterer Vorteil: Diese Mini-Programme verbrauchen viel weniger Speicher, da sie in der Cloud gespeichert sind. Kein Wunder also, dass Facebook seinen Messenger massiv ausbaut und weiterentwickelt. Erst kürzlich kaufte es das kalifornische Start-up Ozlo, das auf Spracherkennung und sinnvolle Kommunikation zwischen Menschen und Maschinen spezialisiert ist. Die Strategie des blauen Riesen ist klar: Sein Messenger wird so quasi zu einem eigenen mobilen Betriebssystem – und das war bisher ein großer Nachteil gegenüber Google oder Apple. 1,2 Milliarden Menschen benutzen den Messenger bereits, dazu kommen noch einmal 1,3 Milliarden Nutzer von WhatsApp, das ebenfalls zum Zuckerberg-Imperium gehört. Und auf Facebook sind Millionen von Unternehmen präsent, die in Zukunft viel leichter und besser mit ihren Kunden kommunizieren oder zusätzliche Services anbieten können. Chatbots, die Ansprechpartner in den Messenger Diensten, werden dabei eine maßgebliche Rolle spielen. Und je intelligenter diese sind, umso besser wird der Kundenservice der Zukunft sein. Fast alle großen Unternehmen entwickeln derzeit Strategien, wie sie ihren Kundenservice mithilfe von Chatbots verbessern können.
Dorthin, wo die Kunden sind
Zwei Vorteile sind offensichtlich: Selbst das Telefon und E-Mail sind vielen Kunden heute zu umständlich, um zu kommunizieren. Also gehen die Unternehmen dorthin, wo die Kunden mehr als 17-mal am Tag sind, wie die Studie von Adobe Digital belegt: in die Messenger Dienste, zu WhatsApp, WeChat, Telegram, Web Chat und natürlich in den Messenger von Facebook. Servicezeiten gibt es keine, der digitale Kundenservice ist immer erreichbar und weiß auf alles sofort eine Antwort. So erwarten es die Verbraucher heute: Sofort wenn sie es brauchen, sind die Infos zu einem Lebensmittel, die Öffnungszeiten eines Restaurants verfügbar – und die Reservierung gibt es gleich noch dazu. Digitalvordenker Sascha Lobo prägte dafür den Begriff „Sofortiness“. Gleichzeitig werden die Supportmitarbeiter von alltäglichen und technisch komplexen Fragen entlastet. Der Kunde wiederum hat es mit einem Support zu tun, der nie uninformiert, gereizt oder schlecht gelaunt ist. Eine klassische Win-win-Situation also. Eine Umfrage von Bitkom hat ergeben, dass 68 Prozent der Nutzer Chatbots für die Terminplanung, 58 Prozent beim Online-Shopping und für die Reiseplanung und 53 Prozent für aktuelle Infos einsetzen würden, 41 Prozent finden den Einsatz im Kundenservice attraktiv. Man kann davon ausgehen, dass die Zustimmung bei erfolgreicher Nutzung schnell steigen wird. Mildred, ein Chatbot der Lufthansa für Auskunft und Buchung, ist bereits bei der Arbeit. Insgesamt sind im Messenger von Facebook schon rund 34.000 Chatbots aktiv.
Robo-Doc weiß es besser
Ein Chatbot ist allerdings immer nur so gut wie die Kl, die dahintersteckt. Ein interessantes Einsatzfeld kann auch der Gesundheitsmarkt sein. Das Londoner Start-up Babylon Health hat eine App entwickelt, die einen mit einem staatlich zugelassenen Arzt verbindet. Zuerst gibt man seine Beschwerden ein und kann per Audio- oder Videokonferenz mit dem Arzt reden, auch Rezepte und Atteste sind möglich. Rund 100 Forscher arbeiten für Babylon Health und diese haben nun einen Chatbot entwickelt, der rund um die Uhr die Fragen von Patienten beantwortet. Nach einem Gespräch und basierend auf Milliarden von Datenpunkten stellt der Chatbot eine Diagnose – und ihre Genauigkeit liegt schon heute bei etwa 92 Prozent. Einige Tausende solcher Gespräche hat der Robo-Doc bereits geführt und mit jedem weiteren lernt der Algorithmus dazu. Das System funktioniert überall, wo eine Internetverbindung verfügbar ist. In Kürze will der britische National Health Service das System mithilfe einer Million Londoner großflächig testen. Auch andere Unternehmen arbeiten an solchen Systemen. Die chinesische Suchmaschine Baidu verfügt über einen medizinischen Chatbot, der Fragen beantwortet und anschließend einen Termin in der Sprechstunde eines passenden Arztes vermittelt. Selbst in der Psychologie hält die moderne Technik bereits Einzug. Wissenschaftler der Stanford-Universität haben mit WoeBot eine Anwendung für psychisch kranke Patienten entwickelt, denen die Zeit oder das Geld für eine Gesprächstherapie fehlt. WoeBot kümmert sich um die mentale Gesundheit, indem er sich täglich nach Sorgen, Kummer oder anderen Dingen erkundet, Tipps gibt und einfach zuhört. 39 Dollar kostet das System pro Monat und erste Tests zeigen, dass es funktioniert.