Moderne Zeiten
Würde Charlie Chaplin seinen Film im Jahre 2015 drehen, wären die Zahnräder sicher Prozessoren. Heute wie damals verändert sich die Arbeitswelt gravierend, die Auswirkungen sind ungewiss. Klar ist: Alles kommt auf den Prüfstand, alles wird sich verändern. Was bringt die Zukunft?
Nine to five oder die Fünf-Tage-Woche – fast alle Branchen rattern noch nach diesem Rhythmus. Dabei ist der Takt des Industriezeitalters, der Schichten und Fließbänder, längst nicht mehr bestimmend für die Arbeitswelt. Früher war die reine Arbeitszeit ein Maßstab der Produktivität, heute sind es Prozesse oder Projekte. Und warum soll die Arbeitszeit nicht weniger werden: 1825 betrug die durchschnittliche Wochenarbeitszeit 82 Stunden, 1900 noch 60 und 1950 waren es 48 Stunden. Mit der Kampagne „Samstag gehört Vati mir“ kam 1958 die Fünf-Tage-Woche. Jahrzehnt für Jahrzehnt arbeiten die Menschen immer weniger und erwirtschaften trotzdem ihren Lebensunterhalt – gleichzeitig steigt der Lebensstandard stetig. Heute beträgt die wöchentliche Arbeitszeit durchschnittlich 38 Stunden, aber warum sollten es in zehn Jahren nicht nur noch dreißig sein?
Dass dies funktioniert, zeigt der Blick Richtung Norden. In Schweden praktizieren das bereits eine Großmolkerei, ein großer Autohändler und vielleicht bald auch die Kommunalverwaltung von Göteborg: gleiches Gehalt bei weniger Arbeitszeit, sechs statt acht Stunden täglich. Und die Erfahrung aus fast zehn Jahren Praxis zeigt: Die Anzahl der Krankheitstage sinkt, die Mitarbeiter sind produktiver und effizienter bei der Arbeit und die Unternehmen haben keine Einbußen, sondern auch noch motivierte Beschäftigte. Weltweit wird darüber nachgedacht und gerade kleine Unternehmen der Technologiebranche experimentieren damit. Aber auch Carlos Slim, der reichste Mann der Welt (ein mexikanischer Unternehmer der Telekommunikationsbranche), oder Google-Gründer Larry Page haben sich bereits positiv zu einer kürzeren Arbeitszeit geäußert.
Kollegen unter Strom
Letztendlich ist es der Kern des technischen Fortschritts: Arbeitsprozesse zu vereinfachen und zu beschleunigen. Die Ersparnis ist Zeit, die man besser nutzen kann – mit Familie, Freunden oder sozialen Projekten. Die digitale Revolution hat dieser Entwicklung aber eine neue Geschwindigkeit und eine neue Dimension gegeben. Kritische Stimmen sprechen davon, dass es in Zukunft zwei Typen von menschlichen Arbeitskräften geben wird. Die, die den Maschinen sagen, was sie machen sollen, und die, denen die Maschinen sagen, was sie machen sollen. Das ist sicherlich zu einfach. Die Studie „The Future of Employment“ hat am Beispiel der USA untersucht, wie hoch für rund 700 verschiedene Berufe die Wahrscheinlichkeit ist, automatisiert zu werden: Rund 47 Prozent, das betrifft rund 70 Millionen Menschen, arbeiten in Berufen, die in den nächsten zwanzig Jahren Maschinen übernehmen werden. Das sind unglaublich viele, aber auch die Dampfmaschine oder der mechanische Webstuhl machten unzählige Berufe und Millionen Arbeitsplätze überflüssig.
Die Maschinenrevolution in der Arbeitswelt findet bereits seit über 200 Jahren statt. Und die Veränderungen etwa durch Elektrizität dürften für die Arbeitswelt nicht weniger einschneidend gewesen sein. Wichtig ist, was man daraus macht. Umfragen zeigen, dass etwa 57 Prozent der Beschäftigten in Deutschland dem Wandel positiv gegenüberstehen, nur bei acht Prozent überwiegen die Ängste.
Der Faktor Mensch
Ärzte, Anwälte, Ingenieure, Programmierer, aber auch Pflegekräfte oder Sozialarbeiter müssen sich wenig Sorgen machen. Der menschliche Faktor wird bei diesen Tätigkeiten wichtig bleiben. Bei Busfahrern oder Bauarbeitern sieht es bereits anders aus und viele menschliche Buchhalter, Kassierer und Bäcker wird es in allzu ferner Zukunft wohl nicht mehr geben. Kurzum: Berufe, die menschliche Kreativität oder Empathie erfordern, haben weiterhin gute Perspektiven. Was sich aber auch hier verändern wird, ist, „wie und wo“ sie arbeiten. Vielleicht nur noch zwei oder drei Tage in der Woche an einem festen Arbeitsplatz oder zu festen Zeiten. Ansonsten mobil, flexibel und eigenständig. Führungskräfte sind keine Chefs mehr, sondern Teamführer, die für eine optimale Organisation, Vernetzung und für gute Arbeitsbedingungen sorgen. Grundvoraussetzung dafür sind flache Hierarchien.
Wie so etwas funktionieren kann, sieht man bei Google. Ohne Frage ist es eines der innovativsten Unternehmen. Gleichzeitig ist es das Unternehmen, das unsere Arbeitswelt maßgeblich verändert und dies im eigenen Haus bereits vorlebt. Denn auch in Mountain View fallen Ideen nicht vom Himmel oder wachsen an Bäumen. Aber bei Google ist man stets bestrebt, den Mitarbeitern ein Umfeld zu bieten, in dem sie sich wohlfühlen, frei denken und arbeiten können. „Lässt man den Mitarbeitern die Freiheit, Dinge einfach umzusetzen, werden sie Großartiges zustande bringen“, sagte Laszlo Brock, Personalchef von Google, im Interview mit Spiegel Online. Und: „Wir haben keine Stechuhr, kein Vertrag legt fest, wo jemand arbeitet. Googler werden vierteljährlich daran gemessen, ob sie ihre Ziele erreichen, die sie zum Quartalsbeginn mit ihrem Chef besprochen haben.“
Die richtige Technik
Mitarbeitern das optimale Arbeitsumfeld und angenehme Arbeitsbedingungen zu bieten, spielt aufgrund des demografischen Wandels zusätzlich eine wichtige Rolle. Allein durch den Renteneintritt der Baby-Boomer-Generation wird sich die Anzahl der Beschäftigten ohne Migrationshintergrund von heute rund 45 Millionen auf etwa 29 Millionen im Jahr 2050 reduzieren. Diese Arbeitsstellen wird man nicht ausschließlich mit Maschinen besetzen können. Zufriedene und gesunde Arbeitnehmer werden deshalb auch weiterhin ein wichtiges Gut sein.
Unternehmen können dafür einiges tun – gerade dank des technischen Fortschritts. Weniger und flexibler zu arbeiten senkt die Zahl der Krankheitstage, ermöglicht ein gesundes Arbeiten bis ins Alter und verbessert die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das ist umso wichtiger, als die beruflichen Herausforderungen der Zukunft nicht körperlicher Natur sein werden, sondern eine hohe geistige Fitness voraussetzen. Und an den Tagen, die man im Unternehmen arbeitet, findet man ideale Bedingungen vor. Intelligente Systeme passen die Arbeitsplätze jeweils an die digitale Aura des Beschäftigten an – das können beispielsweise eine individuelle Beleuchtung, Zimmertemperatur, Farben oder Dienste und Services sein. Co- oder Single-Working-Areas sind optimal für die jeweiligen Erfordernisse ausgestattet und moderne Kommunikationsmittel fördern die Vernetzung und den Austausch jederzeit und überall. Stetige Fort- und Weiterbildungen sorgen dafür, dass die grauen Zellen nicht einrosten und man nicht von der technischen Entwicklung abgehängt wird. Denn wer die Technik kennt und auch anwenden kann, wird nicht von ihr ersetzt werden.