Weltweit ein digitaler Vorreiter

Apps boomen
Ab Januar kommt endlich die elektronische Patientenakte. Schon etwas früher am Start waren die digitalen Gesundheitsanwendungen. Inzwischen sind fünf medizinische Apps zugelassen, in wenigen Monaten werden es wohl über 100 sein. Voraussetzung ist eine Zulassung durch das Bundesinstitut für Arzneimittelsicherheit und Medizinprodukte (BfArM).
 
Man hat es in den vergangenen Monaten schon öfter gelesen: Die Coronakrise ist ein Beschleuniger der Digitalisierung. Dies gilt erst recht im Gesundheitswesen und lässt sich mit Zahlen belegen. Der „e-Health-Monitor 2020“ der Unternehmensberatung McKinsey zeigt: In den ersten beiden Quartalen wurden rund 3,3 Millionen Gesundheits-Apps im weitesten Sinne runtergeladen – das sind deutlich mehr als im Vorjahr. Erstaunlich ist die Tatsache, dass fast die Hälfte davon Apps von Krankenkassen waren. Aber auch medizinische Apps, die bei Diabetes oder Migräne unterstützen, sind beliebt. Hier befinden wir uns bereits im Bereich der digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA). Noch spielen diese bei den Downloads keine Rolle, das wird sich aber sicher schnell ändern.
 
Das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) begründet den Anspruch auf die Versorgung mit digitalen Gesundheitsanwendungen. In der Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung (DiGAV) legt das Bundesgesundheitsministerium dann fest, woran der Nutzen der „Apps auf Rezept“ gemessen werden soll. Eine DiGA ist verschreibungsfähig, wenn sie die Zulassung für das „Verzeichnis für digitale Gesundheitsanwendungen“ gemäß Paragraf 139 im SGB V durchlaufen hat. Zuständig für das Verfahren ist das Bundesinstitut für Arzneimittelsicherheit und Medizinprodukte (BfArM). „Mit der Aufnahme der digitalen Gesundheitsanwendungen in den Leistungskatalog ist Deutschland international Vorreiter. Die DiGAs haben langfristig das Potenzial, die Versorgung in vielen Bereichen nachhaltig zu verändern“, erklärt Tobias Zimmermann, Programm-Manager Digitalisierung bei der AOK Baden-Württemberg.
 
Der Nutzen ist Voraussetzung
DiGAs: eine runde Sache
DiGAs sind Medizinprodukte, die helfen, Erkrankungen zu erkennen oder zu lindern, und bei der Diagnosestellung unterstützen. Sie gehören zur Klasse der Medizinprodukte mit geringem Risiko. Ihre Wirkung kommt den Patienten direkt zugute. DIGAs können Apps oder browserbasierte Anwendungen sein. Eine DiGA kann entweder allein vom Patienten oder von Arzt und Patient gemeinsam genutzt werden. Sie kann auch in Kombination mit Pulsmessern oder sonstiger Software angewendet werden. Wichtig ist, dass sie einen positiven Versorgungseffekt hat – dies stellt das BfArM in einem Bewertungsverfahren fest. Dieser Effekt ist gegeben, wenn sich der gesundheitliche Zustand oder der Umgang mit der Erkrankung durch eine DiGA verbessert. Dieser Nutzen kann medizinischer Art sein, etwa durch die Linderung von Schmerzen, oder die Verbesserung der Lebensqualität betreffen. Damit ist etwa gemeint, dass Patienten an ihre Medikamente erinnert oder Gesundheitswerte direkt gemessen und gespeichert werden, sowie der Austausch mit ihrem Arzt oder ihrem Psychotherapeuten erleichtert wird. „Die neuen Leistungen haben das Potenzial, von Versicherten stark nachgefragt zu werden. Für Versicherte sind sie leicht zugänglich und zu handhaben, wie die Menschen es vom Online-Banking oder -Shopping gewohnt sind. Nur werden die Versicherten nicht zur Kasse gebeten“, erklärt Monika Klein, Produktmanagerin Leistungsmanagement bei der AOK Systems.
 
Ein strenges Prüfverfahren
Auch Apps durchlaufen einen Prozess bis zur Produktivsetzung
Vor der Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis steht das Prüfverfahren des BfArM. Der Hersteller kann dieses beantragen, wenn sein Medizinprodukt bereits über eine CE-Kennzeichnung verfügt. Damit belegt der Hersteller, dass es den gesetzlichen Anforderungen an Sicherheit, Leistungsfähigkeit, klinische Bewertung, Qualitätssicherung und Risikobewertung entspricht. Die Erfüllung aller Anforderungen wird in einem Konformitätsverfahren in Zusammenarbeit mit einer staatlich kontrollierten „Benannten Stelle“ ermittelt. Besitzt also eine medizinische App diese Kennzeichnung, kann die Zulassung ins DiGA-Verzeichnis mithilfe des Fast-Track-Verfahrens beim BfArM innerhalb von drei Monaten erfolgen. Allerdings gilt das nur für DiGAs, die zu den Medizinprodukten der Klasse 1 und 2 gehören.
 
Sollte es in Zukunft auch DiGAs geben, die zur Klasse 3 gehören, soll die Zulassung nur mit einer Bewertung des G-BA möglich sein. Im Fast-Track-Verfahren bewertet das BfArM die Angaben und Nachweise des Antragstellers zu vielen zusätzlichen Aspekten, die entweder noch nicht für den Marktzugang des Medizinproduktes nachgewiesen werden mussten – zum Beispiel Datenschutz oder die Interoperabilität mit anderen DiGAs und Datenplattformen –, sowie Aspekte, auf die noch einmal besonderes Augenmerk gelegt werden soll. Gemeint sind hier etwa die Unterstützung der Anwendung durch Patienten oder die Sicherheit der medizinischen Angaben. Zudem prüft das BfArM, ob der Antragsteller anhand wissenschaftlicher Daten belegen kann, dass seine DiGA einen konkreten „positiven Versorgungseffekt“ bietet, oder zumindest plausibel davon auszugehen ist, dass der Hersteller dies in den nächsten zwölf Monaten nachweisen kann. Insgesamt sind über 200 Fragen zu beantworten.
 
Eine Art von Digital-Lexikon
Auch die Kostenstruktur muss geregelt werden
Ist die Prüfung positiv, erfolgt die vorläufige Aufnahme ins DiGA-Verzeichnis für zwölf Monate. Im ersten Jahr können die Hersteller die Preise für die Nutzung noch selbst festlegen – dies kritisieren vor allem die Krankenkassen. AOK-Experte Tobias Zimmermann: „Im ersten Jahr kann der Preis frei festgesetzt werden. Zu welchen Mondpreisen das führt, sieht man an den ersten Anwendungen, die bereits auf dem Markt sind und teilweise fast 500 Euro im Quartal kosten. Hier wäre eine rückwirkende Gültigkeit der später mit dem Hersteller verhandelten Preise angebracht. Außerdem sollten die DiGAs nur bezahlt werden, wenn sie auch tatsächlich genutzt werden. Gerade bei einem digitalen Produkt ließe sich ein solcher Nachweis einfach umsetzen.“ Nach den zwölf Monaten wird basierend auf Erhebungen und Analysen einer endgültigen Aufnahme oder Ablehnung ins DiGA-Verzeichnis zugestimmt. Dann werden auch die Kosten für diese Anwendung bestimmt.
 
Zu diesem Verfahren gibt es derzeit noch intensive Verhandlungen zwischen dem GKV-Spitzenverband und zwölf unabhängigen Herstellerverbänden. Was aber schon klar ist: Im Zweifelsfall entscheidet künftig eine Schiedsstelle, die kürzlich besetzt wurde, über die Kosten. Vorsitzender ist Prof. Jürgen Wasem, der viele Jahre der AMNOG-Schiedsstelle vorsaß, seine Stellvertreterin die Sozialrechtlerin Prof. Katharina von Koppenfels-Spiels. Für die Krankenkassen verhandeln Christopher Hermann, der ehemalige Chef der AOK Baden-Württemberg, und der ehemalige GKV-Spitzenverband-Vorstand Johan-Magnus von Stackelberg. Auf Seite der Hersteller sitzen Prof. Ullrich Gassner und Prof. Christian Wey dem Schiedsgericht bei. Im DiGA-Verzeichnis finden sich künftig alle zugelassenen DiGAs. Patienten bietet es durch die transparente, übersichtliche und einfache Darstellung viele Informationen. Weitere Informationen richten sich an Ärzte und andere Leistungserbringer und helfen ihnen dabei, geeignete DiGAs zu finden oder miteinander zu vergleichen. Jens Spahn bezeichnet es bei der Einführung als ein Digital-Lexikon.
 
Rezeptcode von der Krankenkasse
APP auf Rezept, für den Versicherten kostenfrei
Patienten können sich zugelassene Apps von ihrem Arzt verschreiben lassen. Das Rezept reichen sie bei ihrer Krankenkasse ein und erhalten im Gegenzug einen Freischaltcode, den sie bei der Installation der App eingeben. Anhand dieses Codes kann der App-Hersteller direkt mit der Krankenkasse abrechnen. Die erste zugelassene App war Kalmeda zur Behandlung von Tinnitus. 116,97 Euro verlangt der Hersteller derzeit für 90 Tage Nutzung. Velibra ist eine App, die sich an Patienten mit einer Angststörung wendet. 476 Euro pro Quartal betragen die Kosten. Inzwischen sind weitere Apps zugelassen: Vivira ist eine DiGA zur Behandlung von Rücken-, Knie- und Hüftschmerzen, Zanadio unterstützt bei der Gewichtsabnahme und Somnio bei Behandlung von Schlafstörungen.
 
21 Apps befinden sich derzeit in der Prüfung, für weitere 75 fanden bereits Beratungsgespräche mit dem BfArM statt. Maßgeblich für den Erfolg der DiGAs werden die Ärzte sein, da sie diese verschreiben müssen. Derzeit sind dort die Vorbehalte noch groß. Man befürchtet, ein reines Geschäftsmodell für die IT-Branche ohne therapeutischen Nutzen zu werden. Dazu kommt, dass die Software in den Arztpraxen noch nicht in der Lage ist, die DiGAs abzubilden. Hier sind die Krankenkassen dank oscare® schon deutlich weiter: „Es gibt im oscare®-Leistungsmanagement eine neue Funktion, die den Rezeptcode generiert und verwaltet. Außerdem können damit alle Prozesse zur Verordnung, Genehmigungen und Abrechnungen von digitalen Gesundheitsanwendungen realisiert werden“, erklärt Monika Klein.