Die Neuvermessung der Welt
Landkarten sind seit jeher Grundlage einer modernen Zivilisation. In der digitalen Welt spielen sie sogar eine noch wichtigere Rolle. Kein Navigationssystem, keine moderne Shoppingplattform und kein smartes Logistiksystem würde ohne die sogenannten Geodaten funktionieren. Sie sind der Rohstoff der digitalen Gesellschaft und werden immer wichtiger.
Längst kommen Geodaten in vielen Computersystemen und digitalen Anwendungen zum Einsatz. Trotzdem haben die meisten Menschen noch nie davon gehört. Das änderte sich Anfang des Jahres, als die Fitness-App Strava zehn Terabyte Geodaten optisch aufbereitet präsentierte. Rund eine Milliarde Läufer und Radfahrer weltweit hatten drei Billionen Datenpunkte produziert. Über sogenannte Heat-Karten konnte jeder sehen, welche Strecken bei den Sportlern besonders beliebt sind. In Heat-Karten werden mit Farben – Rot steht für sehr viele – Geodaten visualisiert. Damit können etwa Verkehrsströme zu bestimmten Zeiten dargestellt werden – oder im Falle der Fitness-App eben Trainingsstrecken. Aber warum schlugen diese Daten solche Wellen? Ganz einfach: Auch Soldaten treiben in ihrer Freizeit Sport, die US-Armee hat ihre Soldaten sogar mit digitalen Fitness-Bändern ausgerüstet. Und so konnte man in den Heat-Karten plötzlich beliebte Laufstrecken sehen – in Afghanistan, im Nirgendwo von Afrika oder in der Wildnis von Litauen. Bisher geheime Militärstützpunkte waren es jetzt nicht mehr. Geodaten können also dabei helfen, Strukturen, Prozesse oder Zusammenhänge sichtbar, messbar zu machen. Aber sie können noch viel mehr.
Die unsichtbaren Marker
Die Deutsche Bahn nutzt Geodaten für ihre Drohnenflotte. Diese fliegt wie an einer unsichtbaren Schnur die Schienenwege, Brücken oder Bahnübergänge ab. Mit ihren Spezialkameras an Bord können die Drohnen diese etwa auf Schäden untersuchen. Selbst der Pflanzenwuchs an den Gleisen kann so überprüft werden. Der Bahn spart dies Zeit und ziemlich viel Geld. Bauern setzen auf Geodaten, um ihre Äcker per GPS-Navigation optimal zu pflügen, effizient zu säen sowie um intelligent zu bewässern oder zu düngen. Zuallererst sind Geodaten eine räumlich klar bestimmte Einheit auf der Erdoberfläche. Das kann ein Punkt, eine Linie, eine Fläche oder auch ein Körper sein. Durch die Verknüpfung mit Metadaten, etwa einer Zeitangabe, werden sie zu einem nützlichen Datenrohstoff. Sie können aber mit noch viel mehr Informationen verknüpft werden – das können Wetter-, Verkehrs- oder statistische Daten, aber auch anonyme Kundenprofile sein. Zalando sieht so genau, ob ein Kunde in Barcelona sich etwa gerade einen Schuh einer bestimmten Marke anschaut. In den USA, wo der Datenschutz deutlich lockerer als hierzulande ist, nutzen Unternehmen geografische und soziodemografische Daten für raumbezogene Kundenanalyse – und zur Erstellung von personenbezogenen Angeboten. So können Kunden per Push-Nachricht ein Angebot für den Supermarkt, in dessen Nähe sie sich gerade befinden, geschickt bekommen. Insgesamt steckt das Geomarketing zwar noch in den Kinderschuhen, aber auch in Deutschland experimentiert MediaMarkt oder Kaufda schon damit.
Ein kostbarer Rohstoff
Das Smartphone ist die treibende Technologie, die vieles erst möglich macht. Einerseits sind Milliarden Handys in der Welt unterwegs, die ständig verwertbare Geodaten produzieren, anderseits können damit intelligente Dienste, die auf Geodaten basieren, genutzt werden. Daneben gibt es aber bereits seit Jahrzehnten Millionen von Geodaten, die von den staatlichen Vermessungsämtern oder Behörden erhoben wurden. Diese sind längst in digitale Systeme übertragen worden und sehr begehrt – für die Erstellung von Bebauungsplänen oder die Planung von Transportrouten. Amazon nutzt für seinen eigenen Lieferservice inzwischen vermehrt Geodaten, da diese verlässlicher als Adressen sind. Und in ganz Deutschland haben in den vergangenen Monaten die Behörden ihre Schatzkisten geöffnet und stellen über Onlineplattformen ihre Geodaten Unternehmen, Forschungseinrichtungen oder Privatpersonen zur Verfügung – der Ansturm ist enorm. Zum Beispiel in Baden-Württemberg: „Mit unserem neuen Geoportal machen wir Karten und raumbezogene Daten aus allen Bereichen der Verwaltung für die Öffentlichkeit zentral im Internet nutzbar. Ab sofort können alle auf hochwertige Geodaten verschiedenster Fachdisziplinen zügig zugreifen“, erklärte Peter Hauk, der Minister für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz. Mit nur wenigen Klicks können so die Geodaten der Vermessungs- und Geoinformationsverwaltung in Karten oder Luftbildern visualisiert und mit anderen Daten kombiniert werden.
Auch oscare® goes Geo
Wie sehr sich die Welt der Karten verändert hat, zeigt das Berufsbild des Geomatikers. Dieses entstand 2010 aus den Ausbildungsberufen Vermessungstechniker und Kartograf. Früher verbrachten diese einen Großteil ihrer Arbeit im Freien, Geomatiker arbeiten hauptsächlich am Computer. Ihre Datengrundlage ziehen sie aus den Geoportalen, aber auch auf Vermessungsdaten von Flugzeugen oder Satelliten greifen sie zurück. Manchmal müssen sie doch noch raus und zum Fluchtstab greifen, meistens visualisiert ein Geomatiker jedoch Daten in speziellen Karten. Das können Standortanalysen für den Einzelhandel sein, Ertragskarten für die Landwirtschaft oder spezielle Karten für Polizei und Feuerwehr. „Auch bei den oscare®-Kunden steigt der Bedarf, den geografischen Bezug von Geschäftsdaten zu analysieren und für das operative Geschäft zu nutzen. Inhärent liegt der Orts- und Raumbezug vieler Daten in oscare® bereits vor. Und wir wollen unseren Kunden das Geo-Potenzial ihrer Daten erschließen“, erklärt Thomas Brunner, Produktmanager Business Intelligence bei der AOK Systems. Damit lässt sich etwa abbilden, wo und wann bestimmte Medikamente besonders häufig verschrieben werden. Aber auch bei der Umkreissuche von Leistungserbringern, der Prüfung von Fahrtkostenabrechnungen oder der kartenbasierten Darstellung von Krankheitsfällen kommen Geodaten zum Einsatz. Die „SAP HANA Spatial“ als zentrale Geodaten-Plattform spielt dabei eine wichtige Rolle. „Nach dem Motto ‚oscare® goes Geo‘ sollen sich künftig durch das Wo und Woher wichtige Erkenntnisse gewinnen lassen“, so Brunner.
Ganz schön abgefahren
Wie einflussreich Geodaten schon sind und noch werden, zeigt besonders ein Lebensbereich, der sich schnell und grundlegend verändern wird und einen extrem großen Einfluss auf unser tägliches Leben hat: die Mobilität. Längst üben weltweit Autos verschiedener Hersteller das autonome Fahren. Ohne Geodaten wären sie verloren. Diese sorgen allerdings nicht nur dafür, dass die Autos den Weg finden. Zum Beispiel Here, der Kartendienst von BMW, Audi und Daimler. Zentimetergenau sind Straßen, Radwege, Bürgersteige, Schilder und selbst Bodenbeläge, Kurvenkrümmung oder Steigungen erfasst. Ein Auto, das mit Here fährt, kann seine Stoßdämpfer automatisch und rechtzeitig auf einen härteren Straßenbelag umstellen. Ein Plus des Kartendienstes: Er aktualisiert seine Datenbasis selbst und tauscht Daten in Echtzeit aus. Melden etwa die Regensensoren mehrerer Autos in einem Gebiet Schnee, könnten andere Fahrzeuge, die sich nähern, gewarnt werden. Unzählige Möglichkeiten und Anwendungen sind denkbar, Voraussetzung ist natürlich ein schneller mobiler Datenaustausch. Vodafone und Here entwickeln daher derzeit gemeinsam einen 5G-Autoatlas. Aber auch bei den Autos gilt: Sie brauchen nicht nur Geodaten, sondern sie liefern auch wertvolle Daten. Das kann man bereits in Frankfurt am Main verfolgen, auch wenn es sich hierbei nur um Fahrzeuge mit zwei Rädern handelt. Die Mainmetropole ist derzeit der vielleicht am härtesten umkämpfte Markt für Leihfahrräder. Fünf große Unternehmen aus Deutschland, den USA und Singapur haben fast 5.000 Räder am Start, im Frühjahr sollen Tausende weitere dazukommen. Der Grund, warum gerade Frankfurt als Testgebiet dient, liegt wohl in der überschaubaren Größe der Großstadt, der hohen Anzahl an Pendlern, Touristen und Geschäftsreisenden und natürlich auch der Kaufkraft. Das Fahrrad ist hier ein praktisches Fortbewegungsmittel, für die Verleiher allerdings nur Mittel zum Zweck. Die Räder produzieren große Mengen an Bewegungsprofilen – die etwa zur Werbung verwendet werden. Und wer dann zur Mittagszeit sein Rad an der Hauptwache abstellt, bekommt auf das Handy ein Sonderangebot für einen Imbiss dort geschickt. Das kann man jetzt bedenklich finden – oder einfach günstig essen.